Aus den Augen, aus dem Sinn. Dieses Sprichwort bringt auf den Punkt, was immer noch allzu oft in Unternehmen bezüglich verlorener Kunden praktiziert wird: Verlorene Kunden sind vergessene Kunden. Oder sie werden als ‚Karteileiche' einfach aus der Datenbank gelöscht. Dabei schlummert im Ex-Kundenkreis ein beträchtliches Umsatz- und Ertragspotenzial. Anne M. Schüller, Expertin für Loyalitätsmarketing, zeigt, wie dieser Schatz zu heben ist und wie Kundenrückgewinnung funktioniert.
Das Kundenrückgewinnungsmanagement, im englischen als Customer Recovery bezeichnet, beginnt dort, wo alle Loyalisierungsmaßnahmen erfolglos blieben, wenn also der Kunde die Geschäftsbeziehung offiziell beendet beziehungsweise das Unternehmen stillschweigend verlassen hat. Demnach ergeben sich folgende Ansatzpunkte:
Insbesondere geht es darum, zu erkennen, wer aus welchen Gründen abgewandert ist und wen man wie zurückholen kann und will, um es im zweiten Anlauf besser zu machen. Der Prozess des Rückgewinnungsmanagements lässt sich somit in fünf Schritten darstellen:
Alle Maßnahmen zielen letztlich auf den fünften Schritt: der Prävention von Kundenverlusten. Und bei den zurück gewonnenen Kunden gilt es, eine ‚zweite Loyalität' aufzubauen. Eine dritte Chance gibt es so gut wie nie.
Im Ex-Kundenkreis schlummert ein beträchtliches Ertragspotenzial. Es ist nicht nur kostengünstiger, sondern häufig auch leichter, abgesprungene Kunden zurückzuholen, als Neukunden zu gewinnen. Und oft waren es nur Kleinigkeiten, die Verärgerung und Missstimmung hervorgerufen haben. Menschen vergessen meist schnell und verzeihen gern. Viele ehemalige Kunden wären demnach bereit, Ihnen eine zweite Chance zu geben, würde man sie nur gebührend darum bitten, etwaige Probleme aus der Welt schaffen – und ihnen das Wiederkommen ein wenig versüßen.
So ergab eine vom Marktforschungsinstitut Ciao GmbH online durchgeführte Studie zum Kundenservice in Deutschland, dass nur 12 Prozent der Befragten unter keinen Umständen zu ihrem ehemaligen Anbieter zurückkehren wollten. Im Übrigen verdeutlichen die Ergebnisse den Vorrang emotionaler Aspekte. Auf die Frage: "Was müsste eine Firma tun, die Sie aufgrund eines schlechten Kundenservice als Kunden verloren hat, um Sie zurück zu gewinnen?" antworteten die 1000 Teilnehmer auf die vorgegebenen Möglichkeiten wie folgt:
Kundenverluste haben viel seltener etwas mit Preisen zu tun, als allgemein angenommen wird. ‚Zu teuer' ist ein wunderbarer Vorwand für beide Seiten: Für den Kunden, damit er seine emotionale Verletztheit nicht offen legen muss. Und für den Betreuer, um sich aus der persönlichen Verantwortung zu stehlen. Doch nur, wer die wahren Fluktuationsursachen kennt, kann die richtigen korrigierenden Maßnahmen einleiten.
So erbrachte eine Untersuchung der Forum-Marktforscher aus Mainz, dass nicht die Konditionen, sondern kommunikative und zwischenmenschliche Faktoren die Hauptgründe für niedrige Zufriedenheitswerte bei Ex-Bankkunden waren. Übrigens hatten nur 5 Prozent aller Kunden, aber 14 Prozent aller Ex-Kunden sich bereits bei ihrer Bank beschwert. Die jeweils letzte Beschwerde erfolgte bei den bestehenden Kunden zu 13 Prozent, bei den Ex-Kunden zu 29 Prozent per Brief. Eine schriftliche Beschwerde heißt also: fünf vor zwölf.
Nicht alle Ex-Kunden sind auf immer und ewig verärgert. Vielleicht sorgte eine Bagatelle für das Wegwandern – und die ist schnell behoben. Oder der Lieblingsverkäufer des Abtrünnigen ist nicht mehr bei Ihnen beschäftigt – finden Sie ihm einen netten neuen. Oder ein Mitarbeiter war inkompetent und unfreundlich – und der ist inzwischen entlassen. Oder Sie sind schlichtweg in Vergessenheit geraten - weil es zu ruhig um Sie wurde. Womöglich wollten Ihre Kunden ganz einfach mal was Neues ausprobieren – und sind gar nicht so glücklich dabei. Oder sie konnten den Billigangeboten eines Mitbewerbers nicht widerstehen – und wollen nun nicht zugeben, dass sie auf die Nase gefallen sind.
Vielleicht liegt es auch wirklich an Ihren Produkten, an mangelhaftem Service, an Änderungen im Kaufverhalten oder am Preisverfall in der Branche, wenn Ihre Kunden migrieren. Eines ist ebenfalls sicher: Nicht jeder Ex-Kunde ist rückholbar. Und manche Ehemaligen wünscht man der Konkurrenz viel lieber als sich selbst.
Demnach stellen sich vor einer Aktion zur Kundenrückgewinnung zunächst die folgenden Fragen:
Ein Beispiel aus der Praxis
Meist ist es die Angst vor dem Nein, die uns beim Kundenzurückholen zögern lässt. Wer gut vorbereitet ist und mutig voranschreitet, kann am Ende sogar die Erfahrung machen, dass ein reaktivierter Kunde zum aktiven Empfehler wird. Ein Verkaufsleiter erzählte mir hierzu die folgende Geschichte:
„Ein Kunde besuchte uns während einer Ausstellung und zeigte großes Interesse an einem unserer Produkte. Aufgrund einer Gebietsumverteilung fasste der verantwortliche Verkäufer nicht sofort nach, und ein Anruf blieb unbeantwortet. Als wir ihn schließlich kontaktierten, war der Deal bereits gelaufen. Der Kunde war außerdem ziemlich verärgert über die scheinbare Arroganz unseres Unternehmens, so ‚kleine Kunden wie ihn' nicht zu bedienen. Nachdem er bis dahin stolz war, unsere Produkte einzusetzen, hatte er sich daraufhin bewusst gegen uns entschieden. Er war aber offen, mich bei Gelegenheit noch einmal zu treffen.
Nach einem vollen Arbeitstag bin ich gegen Abend bei ihm vorgefahren. Er war spontan bereit, mir fünf Minuten seiner Zeit zu schenken. Das Gespräch hat dann über zwei Stunden gedauert. Er hatte leider keinen weiteren Bedarf und war hochzufrieden mit der Anschaffung, die er bei der Konkurrenz gemacht hatte. Ich war zwar enttäuscht, zeigte aber Verständnis für seine Entscheidung. Sechs Monate später rief er mich an. Wir vereinbarten einen Termin für die Besprechung eines neuen Projekts im Umfang vom zehnfachen des verlorenen Geschäfts. Wir bekamen den Auftrag und weitere lukrative Folgeaufträge. Einige Monate später erhielt ich den Anruf eines uns unbekannten Unternehmens, das genau die gleiche Lösung benötigte. Nach minimalem Beratungsaufwand erhielten wir den Zuschlag. Es war eine Empfehlung des wieder gewonnenen Kunden."
Je länger ein Unternehmen einen rentablen Kunden hält, desto mehr Gewinne kann es durch ihn erzielen. Oberstes Ziel sollte es daher sein, möglichst keinen einzigen Kunden zu verlieren, den man behalten will. Hohe Kundenloyalität und niedrige Abwanderungsraten sichern den dauerhaften Geschäftserfolg. Das systematisch betriebene Kundenrückgewinnungsmanagement ist ein äußerst wirkungsvoller Baustein auf dem Weg zu diesem Ziel.
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Weiterführende Infos zum Thema Kundenmanagement
Kunden richtig verstehen - eine Alternative zur Buyer Persona - Mit Kundenprofilen systematisch Kundennutzen und Probleme untersuchen (Blogartikel und Podcastepisode)
Zielgruppe definieren und eingrenzen - so geht es auch - Eine Alternative zur ganz eng abgegrenzten Zielgruppe (Blogartikel und Podcastepisode)
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Mehr zum Thema: Die neue Artikelserie Kundenrückgewinnung von Anne M. Schüller:
Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirtin, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Management-Consultant. Sie gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und zählt zu den gefragtesten Business-Speakern im deutschsprachigen Raum. Über 20 Jahre hatte sie leitende Vertriebs- und Marketingpositionen in internationalen Dienstleistungsunternehmen inne und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Sie ist Gastdozentin an mehreren Hochschulen. Managementbuch.de zählt sie zu den wichtigen Management-Denkern. Zum Touchpoint Management hält sie Vorträge und Workshops. Zu ihrem Kundenkreis gehört die Elite der Wirtschaft. Weitere Informationen unter: www.anneschueller.com |
Bildquelle: Max van Vuigt (2014)
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