Die Expertenfalle - Warum Erfahrung das Risiko für Fehlentscheidungen erhöhen kann

Veröffentlicht am 19. Mai 2015
Geschrieben von Dr. York Hagmayer

Mitarbeiter mit Berufserfahrung haben in der Regel mit steigender Berufserfahrung umfangreichere Entscheidungsbefugnisse. Der Grund liegt auf der Hand: Wissen und Erfahrung lassen auf schnellere und vor allem bessere Entscheidungen schließen. Eine plausible, aber oftmals falsche Annahme wie der Pschologe Dr. York Hagmeyer zeigt.

Oftmals steigt durch Erfahrung das Risiko an, in gewisse Denkfallen zu geraten, die die Qualität von Entscheidungen mindern können. So nimmt beispielsweise mit der Erfahrung das Vertrauen in die eigenen Entscheidungen zu. Die subjektive Gewissheit, richtig zu entscheiden, steigt an. Die Folge ist, dass schneller entschieden wird, verfügbare Informationen ignoriert oder in ihrer Bedeutung herabgemindert werden, und weniger Vorkehrungen gegen die Folgen von Fehlentscheidungen getroffen werden. Dies kann gravierende Folgen haben. So kosten medizinische Fehldiagnosen von Ärzten mit übermäßigem Selbstvertrauen fast täglich Menschenleben. Doch Erfahrung birgt nicht nur Risiken, sie kann auch gegen Fehler bei Entscheidungen schützen.

Planungsfehler – Erfahrung hilft hier erstaunlich wenig

Erstaunlich viele Projekte werden nicht termingerecht fertig. Und dies betrifft nicht nur Großprojekte wie den Bau von Flughäfen oder Militärtransportern. Genaugenommen sind Planungsfehler gerade bei hochkomplexen Projekten zu erwarten. Nehmen Sie zum Beispiel die Entwicklung von neuen Waffensystemen, wie den Bau eines Flugzeugträgers. Die Entwicklungszeit beträgt über 10 Jahre. In dieser Zeit wird eine Vielzahl von technischen Neuerungen entwickelt. Hierzu gehören unter anderem neue Chiptechnologien und neue Betriebssysteme für die Rechneranlagen. Nun sollen diese Neuerungen in die laufende Entwicklung mit einbezogen werden, so dass das fertig entwickelte Produkt auf dem neusten Stand ist. Die Planer können aber schlecht absehen, welche Neuerungen es in den nächsten 10 Jahren geben wird. Die Folge ist, dass sie so planen müssten, dass sie gegebenenfalls neu planen könnten, wenn es relevante Innovationen gibt, ohne dass die Entwicklungszeit selbst verlängert wird. Das dies sehr schwierig bis unmöglich ist, ist nachvollziehbar.

Aber wie ist es mit Projekten, die in ähnlicher Form bereits mehrfach realisiert wurden. Solche Projekte haben einen wesentlich kürzeren Planungshorizont und etwaige Neuerungen im Verlauf des Projekts, z.B. neue Software-Releases, sind gut absehbar. Bei solchen Projekten sollte es eigentlich zu keinen Verzögerungen oder Überstunden zur Einhaltung der Termine kommen. Doch weit gefehlt. Auch hier kommt es zu weitreichenden Planungsfehlern. Der Aufwand wird häufig  deutlich unterschätzt. Woher kommt das? Ein Teil der Gründe liegt beim jeweiligen Unternehmen und dem Vorgehen bei der Projektplanung.

 Aber es gibt auch psychologische Gründe. Der erste ist, zu glauben, dass durch die gemachte Erfahrung ein ähnliches Projekt beim nächsten Mal deutlich schneller realisiert werden kann. Diese Einschätzung ist leider falsch. In der Regel ist die beste Schätzung, dass es genauso lange wie bei den letzten Projekten dauern wird.  Der zweite Grund ist, dass bei der Planung meist nur die zu leistende Arbeit zur Erreichung der Projektziele eingeplant wird. Die Gesamtdauer eines Projekts ist aber nicht nur durch diese Arbeit bestimmt. Kommunikation, Koordination und die Reaktion auf neue Wünsche von Seiten des Kunden erzeugen erhebliche Aufwände. Und dann kommen „unvorhersehbare“ Ereignisse dazwischen, die zusätzlich bewältigt werden müssen.

Doch die meisten dieser vermeintlich unvorhersehbaren Ereignisse sind zu erwarten. So ist beispielsweise die Erkrankung von wichtigen Projektmitarbeitern vorhersehbar. Eine Liste der unvorhersehbaren Ereignisse aus den letzten Projekten bietet einen sehr guten Anhaltspunkt. Dummerweise werden diese letztgenannten Punkte, obwohl sie bekannt sind, sehr häufig bei Planungen vernachlässigt.

 

 

Heißt das, dass man Projekte besser mit Hilfe von sogenannten worst-case Szenarien planen sollte? Nein, denn solche Szenarien, in denen alles Denkbare schiefgeht, sind genau unrealistisch, wie best-case Szenarien, in denen einfach alles glatt läuft. Wichtig ist sich bewusst zu machen, dass wir intuitiv zum best-case Szenario neigen und diesen Hang korrigieren müssen.

Die Illusion der Kontrolle

Erfahrung bedeutet, Erfolge und Misserfolge zu erleben. Manche Projekte scheitern oder werden mehr schlecht als recht zu Ende geführt. Andere entwickeln sich hervorragend und werden die Grundlage für weitere, gewinnbringende Geschäfte. Doch was ist die Ursache für Erfolg oder Misserfolg? Eine ehrliche Antwort wäre, dass stets eine große Vielzahl von Faktoren einen Einfluss hat. Selbst bei Projekten, die von einer einzelnen Person verantwortet werden, haben andere Personen und die Umwelt einen sehr großen Einfluss auf das Ergebnis. Softwareentwickler greifen auf die Lösungen und Ideen von anderen Entwicklern zurück, Unternehmensberater sind auf die Zuarbeit und Kooperation des Kunden angewiesen, Verkäufer sind je nach Produkt, Kunde und Wettbewerbssituation erfolgreich. Obwohl wir meist nur begrenzten Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg haben, unterliegen wir häufig einer Illusion der Kontrolle. Das heißt, wir meinen, dass wir es sind, die das Ergebnis maßgeblich bestimmen. Und je länger wir erfolgreich tätig sind, desto mehr wird dieser Eindruck verstärkt.

Wozu führt eine solche Illusion der Kontrolle? Einerseits führt sie dazu, dass wir uns anstrengen, um unsere Ziele zu erreichen. Sie erhöht unsere Motivation und unser Durchhaltevermögen. Diese Folge ist also positiv. Auf der anderen Seite führt die Illusion der Kontrolle dazu, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit überschätzt wird und wichtige Einflussfaktoren nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dies kann negative Folgen nach sich ziehen. Nehmen Sie einen Verkäufer, der glaubt alles hänge von ihm ab. Wenn der Markt schwieriger wird, z.B. weil die Konkurrenz attraktivere Produkte anbietet, kann ein solcher Verkäufer den Umsatz reduzieren, weil er zum Beispiel den Einfluss von Peer-to-peer Kommunikation, sozialen Netzwerken oder so banalen Dingen wie den Service rund ums Produkt unterschätzt. Anstatt die positive Wirkung anderer Faktoren zu seinem Vorteil einzusetzen, versucht er nur durch eigene Anstrengung zu punkten.     

 

Eigentlich sollte uns die Erfahrung lehren, wie groß unser Einfluss auf Erfolg und Misserfolg wirklich ist. Leider ist dem nicht so. Wir neigen dazu, Erfolge uns persönlich zuschreiben. Wir glauben, dass der Erfolg durch unser Wissen, unsere Kompetenz und unsere Anstrengung zu Stande gekommen ist. Darum können wir stolz auf das Erreichte sein. Dagegen schreiben wir gerne Misserfolge anderen oder widrigen Umständen zu. In diesem Fall geben wir die Kontrolle und damit die Verantwortung also gerne ab. Dies hat die psychologisch positive Folge, dass wir uns weniger schuldig fühlen müssen und unser Kompetenz nicht in Frage gestellt wird. Da die Anzahl der Erfolge meist deutlich größer als die Misserfolge ist, können wir weiterhin daran glauben, unseren Erfolg kontrollieren zu können. 

Sollten wir also versuchen unseren Einfluss auf Erfolg und Misserfolg realistisch einzuschätzen? Da die Illusion der Kontrolle auch positive Folgen für die Motivation hat, ist gegen eine leichte Überschätzung wohl nichts einzuwenden. Kritisch wird es aber dann, wenn wir dadurch unsere Energie und unsere Ressourcen sinnlos vergeuden. Viele Würfelspieler verlieren ihr Geld, weil sie glauben, die Würfel kontrollieren zu können. Im Gegensatz dazu sind Pokerspieler häufig erfolgreich, weil sie sich ihres Einflusses auf den Spielausgang bewusst sind.


Die Verwechslung von Erfahrung und Expertise

Viele glauben, dass durch mehr Erfahrung mehr Wissen und mehr Kompetenz erworben wird. Das ist nicht notwendigerweise der Fall. Wenn eine Person immer das gleiche Wissen und die gleichen Routinen einsetzt, dann wird die Person nur routinierter aber nicht zum Experten. Berater, die immer nur die gleiche Art von Projekt umsetzen, werden besser in der Umsetzung, aber nicht unbedingt kompetenter. Um zum Experten zu werden sind zwei Dinge wichtig:

 

(1)   verschiedene Dinge bewusst auszuprobieren und

(2)   von den Ergebnissen gezielt zu lernen.

 

Nehmen sie ein so triviales Beispiel wie den Einsatz von Office-Paketen. Die meisten Nutzer sind sehr vertraut mit den Programmen und können ihre Aufgaben schnell und mit gutem Ergebnis bearbeiten. Heißt das, dass diese Nutzer Experten sind? Mitnichten. Die meisten Nutzer kennen nur wenige Funktionen und wissen nicht, wie sie ihre Aufgaben auf anderem Wege mit zum Teil erheblich höherer Effizienz lösen könnten. Weil das übliche Vorgehen ausreichend gut funktioniert, wird nichts Neues ausprobiert und nichts Neues hinzugelernt. Die vermeintlich positive Rückmeldung, die solche Personen erhalten, leitet sie fehl. Sie glauben kompetent zu sein und alles im Griff zu haben. Die Erfahrung, dass es „so gut geht“, führt zu einer Illusion der Kontrolle, einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und kann zu unverhältnismäßigem Selbstvertrauen beitragen.

 

 

Im Gegensatz dazu lernen Experten ständig hinzu, indem sie neue Möglichkeiten systematisch austesten und von den Ergebnissen, den Erfolgen und Misserfolgen, lernen. Diese Rückmeldungen zeigen, welche Vorgehensweisen erfolgreich sind, und welche nicht. Sie erlauben es auch zu erkennen, welche anderen Faktoren für Erfolg mit ausschlaggebend sind. Nehmen Sie zum Beispiel herausragende Musiker. Diese haben nicht nur eine sehr lange Ausbildung hinter sich, in der sie meist gezielt die kritische Rückmeldung anderer hervorragender Musiker gesucht haben. Vielmehr probieren sie ständig neue Möglichkeiten aus. Sie experimentieren damit, wie sie ein Stück anders und vielleicht noch besser oder interessanter interpretieren könnten. Dass sie Meister ihres Fachs sind, heißt eben nicht, auf Bewährtes zu setzen. Weil sie sich immer wieder der Möglichkeit des Scheiterns aussetzen, lernen sie was sie erfolgreich macht und wo ihre Grenzen liegen. Dies reduziert die Gefahr die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen und einer Illusion der Kontrolle anzuhängen.    

Wissen alleine schützt nicht

Denkfallen sind eine Folge davon, wie wir wahrnehmen, denken, lernen und fühlen. Sie resultieren aus unseren psychischen Prozessen. In der Regel sind wir uns dieser Prozesse nicht gewahr, weshalb es im Alltag meist nicht erkennbar ist, wann wir uns selbst in eine Denkfalle hineinmanövrieren. Die Phänomene des Planungsfehlers und der Kontrollillusion zu kennen, und zu wissen, dass Personen sich selbst systematisch überschätzen, schützt nicht vor diesen Denkfallen. Was glauben sie, wie gut sie in ihrem Job sind? Meine Vermutung ist, dass sich die meisten als durchschnittlich bis überdurchschnittlich einschätzen. Welchen Einfluss haben Sie auf Ihre Arbeitsergebnisse? Die meisten nehmen wohl einen großen bis vollständigen Einfluss an. Dann vergegenwärtigen Sie sich bitte, welchen Einfluss ihr Vorgesetzter und ihre Kunden auf ihr Tun und die Bewertung ihrer Arbeitsergebnisse haben. Was glauben Sie wie sehr sie Experte in ihrem Arbeitsfeld sind? Dann fragen Sie sich bitte, wann sie zum letzten Mal einen neuen Ansatz, eine neue Vorgehensweise ausprobiert haben, obwohl sie skeptisch waren. Um Denkfallen zu erkennen und diese zu vermeiden, müssen wir uns selbst und unser Tun immer wieder aktiv in Frage stellen.

 

 

Das Buch 

York Hagmayer

Denkfallen

Klug Irren will gelernt sein

BusinessVillage 2014
ISBN: 978-3-86980-256-5
24,80 Eur[D] / 28,50 Eur[A] / 28,70 CHF UVP

 

 

Autorenvita

PD Dr. York Hagmayer ist Akademischer Rat am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie an der Universität Göttingen. Nach Stationen bei der IBM Academy of Management und am King’s College in London forscht er gegenwärtig zu Fragen der Entscheidungsfindung im medizinisch-psychologischen Bereich.

 

 

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